Snapchat, Facebook, Instagram, TikTok – zugegeben, bei der Menge an Social-Media-Plattformen lässt sich echt schnell der Überblick verlieren und im schlimmsten Fall auch die Lust darauf. Doch auch wenn sie alle irgendwie ganz unterschiedliche Zielgruppen und Bedürfnisse ansprechen, haben sie eine wertvolle Gemeinsamkeit: Sie wollen uns in einer digitalen Welt zusammenbringen. Aber warum ist das eigentlich so wichtig?
67 Millionen Menschen in Deutschland sind täglich im Internet unterwegs. Rund 63 Millionen immer und überall auf ihrem Smartphone. Medienplattformen beliefern uns Non-stop mit Musik, Videos und News. Fahrplanauskünfte und tagesaktuelle Börsenkurse sind nur einen Fingerschnipp entfernt. Wetter-Apps raten uns in Echtzeit zu Sommerkleid oder Friesennerz und haben wir gerade beides nicht im Schrank, bestellen wir einfach online auf amazalandotto.de. Wir shoppen online, wir informieren uns online, wir spielen online, wir recherchieren online nach den Speisekarten unserer Lieblingsrestaurants. Die wunderbare Welt des Internets. Einfach praktisch…
… und einfach unglaublich… eindimensional?
Denn auf den ersten Blick bewegen wir uns komplett allein durch das World Wide Web. Die Einzigen, die uns an die Hand nehmen, sind Algorithmen und Empfehlungssysteme, die unsere Gewohnheiten studieren und uns Vorschläge machen. Kommunikation? Vielleicht mit Chatbots und künstlicher Intelligenz: „Guten Tag, bitte schildern Sie Ihr Anliegen!“ „Tut mir leid, ich kann Ihnen leider nicht weiterhelfen.“ „Guten Tag, bitte wenden Sie sich an den Kunden-Support!“. Hinter all dem steckt kühle, berechnende Technologie. Wir klicken uns durch unbelebtes Terrain und das, obwohl wir uns alle jeden Tag, gleichzeitig, 24 Stunden lang an diesem Ort befinden. Das Internet als toter Raum.
Wären da nicht die Sozialen Medien.
Denn all der berechtigen Kritik zum Trotz: Es ist den Sozialen Medien zu verdanken, dass wir im Internet nicht allein sind. Dass wir dort, wo eigentlich alles tot ist, Plattformen finden, auf denen wir kommunizieren können – sei es nun in privaten Chats, über Texte, Bilder oder Videos. Dort tauschen wir uns aus, folgen gemeinsamen Interessen, organisieren uns, streiten uns, diskutieren miteinander, lachen über uns, solidarisieren uns und dürfen teilhaben am Leben derer, die wir nicht tagtäglich um uns haben. Und die wir ohne Social Media vielleicht sogar längst vergessen hätten. Social Media macht das Internet lebendig.
Klingt das befremdlich für Sie?
Das mag einen einfachen Grund haben: Die Sozialen Medien befinden sich seit Jahr und Tag in einem Strudel aus Negativ-Schlagzeilen. Suchtgefahren, bedenkliche Rollenbilder durch Influencer*innen und Co., Cybermobbing, gefährliche TikTok-Trends, hohldrehende Social-Bots, Hetze, Radikalisierung, Filterblasen, geschweige denn von datenschutztechnischen Risiken und dem Ausverkauf unserer Daten für personalisierte Werbung. Ja, das alles sind gravierende Schattenseiten. Und ja, dafür müssen Lösungen gefunden werden – sowohl aus gesellschaftlicher Perspektive als auch auf der Seite der Unternehmen, die uns die Plattformen zur Verfügung stellen. Aber sollten wir das Konzept der sozialen Medien deshalb als gescheitert betrachten?
Achtung: Es folgt eine hochgradig subjektive Einschätzung.
Liebe Leser*innen, diejenigen unter Ihnen, die Social-Media auch privat nutzen, werden dieses ambivalente Gefühl sicher nachvollziehen können. Zwischen all dem, was in den sozialen Medien schiefläuft, ist es gar nicht so leicht, sich an den eigentlichen Sinn und Zweck des Ganzen zu erinnern. Vielleicht weil wir dessen überdrüssig sind, was dort passiert. Aber vielleicht auch weil wir uns an die vielen Funktionen mittlerweile einfach nur gewöhnt haben.
Aber machen nicht genau diese ‚Funktionen‘ Social Media so wertvoll? Tagein tagaus beliefern mich professionelle Kanäle mit spannenden Inhalten zu Themen, die mich interessieren. Ich folge meinen Lieblingsmusiker*innen und kann live mitverfolgen, wie im Studio ein neues Album entsteht. Ich folge den Accounts von Tagesschau, Zeit und Spiegel, um mich schnell und kompakt zum Weltgeschehen zu informieren. Doch in allererster Linie bin ich dankbar, dass ich Kontakt zu meinen Freund*innen und Bekannten halten und unkompliziert an neue Netzwerke andocken kann. Ja, durch Social Media entsteht Nähe zu Allem, was (vermeintlich) fern ist.
Nehmen wir die Selbsthilfe als Beispiel. Eine Selbsthilfegruppe ist erst lebendig, wenn sie von ihren Mitgliedern mit Leben gefüllt wird. Erst wenn da andere Personen sind, die ihre Erfahrungen mit uns teilen, erkennen wir, dass wir ja gar nicht allein sind. Es eigentlich nie waren! Aber wie bekommt eine Gruppe neue Mitglieder? Wie finden die Menschen zueinander?
Meiner Meinung nach muss die Suche nach Gemeinschaft in unserer heutigen Zeit unbedingt auch dort stattfinden, wo sich 67 Millionen Deutsche täglich aufhalten. Und damit ist nicht jener unbelebte Teil des Internets gemeint, sondern jener, in dem Interaktion stattfindet. Denn dafür sollten Social Media Plattformen meiner Meinung nach da sein: Für Begegnung – mit Freunden, Familie und/oder Gleichgesinnten. Zum Pflegen bestehender Kontakte und zum Finden neuer Kontakte, z.B. über regionale Gruppen, Nachbarschaftsgruppen, auf dem Land, in der Stadt oder sonst wo.
Was ich mir wünsche
Ich wehre mich dagegen, dass die Idee der sozialen Medien von gierigen Tech-Unternehmen untergraben wird. Ich weigere mich dagegen, die sozialen Medien zynischen Trollen zu überlassen. Ich weigere mich dagegen, dass in sozialen Netzwerken demokratische Werte untergraben werden. Ich will nicht, dass diese Plattformen, die ich als einen Ort der virtuellen Begegnung betrachte, bis ins letzte Detail der Werbung und Kommerzialisierung zum Opfer fallen. Ich will nicht, dass ich meine grundlegenden Prinzipien und Werte über Bord werfen muss, wenn ich die sozialen Medien nutzen möchte. Und ich will, dass alle Menschen, die Lust haben, das Internet zu beleben, eine Chance dazu erhalten.
Ein paar Vielleichts
„Schöne Utopie, der Zug für ein ‚Internet des Miteinanders‘ ist doch längst abgefahren.“ – sicher haben Sie sich genau das gerade gedacht, oder? Dann nehmen wir doch mal die Vogelperspektive ein. Wir alle leben längst in einer digitalen Gemeinschaft, unser ganzes Leben wird durch das Internet beeinflusst. Es wird Zeit, dass wir, die Gesellschaft, die sozialen Medien für uns „zurückerobern“. Die Menschheitsgeschichte zeigt, dass viele große Veränderungen oft mit solchen „Träumen“ begonnen haben.
Zum Abschluss habe ich deshalb ein paar Ideen gesammelt, ausgedrückt durch Vielleichts, die ich Ihnen zum Nachgrübeln hierlassen will. Sollten diese zu provokant erscheinen, dann ist dies voll und ganz beabsichtigt:
- Vielleicht müssen wir das Prinzip einer öffentlichen Ordnung auch in den sozialen Medien durchsetzen.
- Vielleicht sollten wir die sozialen Medien zu einer politischen Aufgabe machen.
- Vielleicht müssen wir den richtigen Umgang mit Social Media endlich in den Schulen vermitteln.
- Vielleicht brauchen wir eine staatliche Social Media Behörde.
- Vielleicht müssen wir alle Kräfte, die ein respektvolles Miteinander stören, konsequent aus den sozialen Medien ausschließen.
- Vielleicht müssen wir Zivilcourage auch auf Social Media leben.
- Vielleicht müssten wir bereit sein, für soziale Medien zu bezahlen.
Ganz sicher sollten wir aber erst mal erkennen, welcher besondere Mehrwert in der Idee von Social Media steckt. Erst dann können wir dafür kämpfen.
Das würde ich mir wünschen.