Bild: Brigitte H.

Verbundenheit überwindet Grenzen

Mit wem fühle ich mich verbunden?

Mit meinen Kindern, meinen Freund*innen, meinen Geschwistern, meinen Kolleg*innen, mit meinen Ahn*innen – mit allen, die mich im Alltag umgeben oder mich mal umgeben haben. Wir haben eine Beziehung, mit manchen ganz eng, mit anderen eher lose, aber wir bleiben irgendwie miteinander in Kontakt. Wir schreiben uns Briefe, Karten, E-Mails, kurze Nachrichten, wir telefonieren, wir treffen uns, wir halten die Verstorbenen in Erinnerung. Eine enge Verbundenheit, die einfach da oder die im Laufe der Zeit entstanden ist. Jede einzelne Verbindung trägt mich ein kleines oder großes Stück auf meinem Lebensweg.

Es gibt jedoch noch viele andere, mit denen ich mich verbunden fühle, auf ganz unterschiedlichen Ebenen: Mit den Radler*innen, die sich auf einer Fahrraddemo für bessere Radwege in Nürnberg einsetzen, weil ich mich auch laufend über die fehlenden oder miesen Radwege ärgere und mich freue, dass sich andere Personen (mit mir) dafür einsetzen. Mit den Menschen, die sich auf lange Wanderschaft begeben, weil ich das auch gerne tun würde, aber noch nicht den Ausgangspunkt gefunden habe.

Mit den Ecuadorianer*innen in ihrem Land, die so sehr viel mehr unter der Coronakrise leiden als wir, weil ich viele Menschen in Ecuador kenne und ich mich ihnen nahe fühle. Mit den New Yorker*innen, die vor Freude auf der Straße tanzen, weil nach der langen Krise die Krankenhäuser nicht mehr überfüllt sind und sie nicht mehr um das Leben ihrer Angehörigen bangen müssen – ich freue mich mit ihnen! Mit den geflüchteten Familien aus Zentralamerika, die endlich Aufnahme in den USA finden und den Kindern, die wieder mit den Eltern zusammenkommen, ich kann mir so gut ihre unendliche Erleichterung vorstellen. Oder eben mit den Geflüchteten an der Grenze von Bosnien zu Kroatien, die tagtäglich von der EU abgewiesen werden und nichts, aber auch gar nichts mehr besitzen – ihre Not geht mir so nahe, dass ich es kaum aushalte.

Ich kenne diese Menschen nicht, ich bin ihnen nie begegnet und dennoch trifft ihr Schicksal oder ihr Handeln meine Gefühle und es entsteht eine Form von Verbundenheit, die weit über alle Grenzen reicht. Dieses Gefühl der Verbundenheit weckt in mir das Bedürfnis nach Solidarität mit all denjenigen, die nicht das Glück hatten, in so geborgenen Verhältnissen wie ich aufzuwachsen. Das Bedürfnis, ihnen ein bisschen von meinem Glück abzugeben – in aller Verbundenheit!

 

Der Text wurde erstmalig veröffentlicht im kiss.magazin, Ausgabe 16 (2021) zum Kiss-Jahresmotto „Wir bleiben verbunden“. Hintergrund zur Textentstehung waren die Geschehnisse während der weltweiten Corona-Pandemie.

Über Selbsthelferin

Avatar-FotoEher schon älter. Begeisterte Anhängerin der gemeinschaftlichen Selbsthilfe. Gibt alles für den Erhalt der demokratischen Grundwerte in unserer Gesellschaft.