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Ein Hauch von „Wild-Bad“

Es war das Jahr 1957, ein Jahr, das mir als damals 4-Jährige in Erinnerung bleiben würde. Die Krankheit, die meinen kleinen Körper ergriffen hatte, war Polio, die gefürchtete Kinderlähmung. Mit besorgten Augen und schwerem Herzen hatten meine Eltern uns, meinen ebenfalls erkrankten, knapp vier Jahre älteren Bruder und mich, in die Obhut der Ärzte in Bad Wildbad im Schwarzwald gegeben, in der Hoffnung, dass die Kur und Rehabilitation uns helfen würden.

Ankunft in Bad Wildbad

Die Anreise war lang und beschwerlich. Meine kleinen Hände klammerten sich an meine Puppe, während der Zug durch die malerische Landschaft des Schwarzwaldes fuhr. Ich verstand nicht viel von dem, was um mich herum geschah, aber ich spürte die Sorge in den Stimmen meiner Eltern und die Hoffnung, die in ihren Augen aufleuchtete, als sie endlich das kleine Kurstädtchen erreichten.

Der erste Tag

Der erste Tag in der Rehaklinik war überwältigend. Fremde Gesichter, der Geruch nach Desinfektionsmittel und die ungewohnte Umgebung verunsicherten mich. Doch es gab auch kleine Freuden: Die Krankenschwester, die mir ein Lächeln schenkte, die vertraute Puppe, die auf meinem Bett lag, und die Aussicht auf den blühenden Garten, der von meinem Fenster aus zu sehen war.

Neue Freundschaften

In den folgenden Tagen lernte ich andere Kinder kennen, die ebenfalls nach der akuten Kinderlähmung zur Kur dort waren. Da war Fritz, ein Junge mit einem immerwährenden Lächeln, obwohl beide Beine von oben bis unten in Orthesen steckten und Lotte, ein schüchternes Mädchen, das stets ein Bilderbuch bei sich trug.

Und da war mein Bruder mit dem Spitznamen „Gummi“, der immer alles so positiv nahm oder zumindest nicht zeigte, dass auch er Angst kannte. Zusammen erkundeten wir die Gänge der Klinik und träumten von Abenteuern in der weiten Welt außerhalb der Mauern.

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Die Therapie

Jeden Tag wurde ich zu verschiedenen Therapiesitzungen gebracht. Manchmal waren es schmerzhafte Dehnübungen, manchmal Schwimmstunden im warmen Wasser des Klinikbads. Es wurde das Jahr, in dem meine ersten Schwimmversuche begannen. Es war, wie gesagt 1957 und ich trug einen Badeanzug, der wunderschön war – Rot mit weißen Punkten und überkreuzten Trägern auf dem Rücken. Der Badeanzug gefiel mir sehr, aber er glich eher einer Falle als einer Schwimmhilfe. Das Material des Badeanzugs war nicht besonders wasserdicht und sog sich wie ein Schwamm voll. Kaum war ich im Wasser, fühlte ich, wie mich der Anzug immer wieder unter die Oberfläche zog.

Meine Therapeutin, eine geduldige und freundliche Frau, war glücklicherweise stets in meiner Nähe. Jedes Mal, wenn ich unter die Wasseroberfläche gezogen wurde, griff sie flink nach den überkreuzten Trägern meines Badeanzugs und zog mich wieder hoch. Mit einem sanften, aber bestimmten Griff legte sie mich dann wieder auf die Wasseroberfläche, als wäre ich ein kleines Boot, das sie mit Sorgfalt und Hingabe auf Kurs halten musste.

Jedes Mal, wenn ich aufs Neue untertauchte, hörte ich ihr beruhigendes Lachen und ihre aufmunternden Worte: „Du schaffst das! Noch einmal!“ Ich zappelte und strampelte, während ich versuchte, mich über Wasser zu halten, doch mein Badeanzug schien andere Pläne zu haben.

Diese Schwimmstunden waren geprägt von vielen nassen, ängstlichen, aber auch lustigen und lehrreichen Momenten. Meine Therapeutin war wie ein Schutzengel für mich, der mich immer wieder rettete und dafür sorgte, dass ich nicht den Mut verlor. Irgendwann lernte ich, dass das Wichtigste bei dieser Therapie nicht das Schwimmen selbst war, sondern die Freude und das Vertrauen, die ich dabei gewann.

Und so blieb mir dieser Badeanzug, obwohl er sich ständig voll Wasser sog, als Symbol meiner ersten tapferen Schwimmversuche in Erinnerung. Nach wie vor habe ich einen großen Respekt vor Wasser, aber ich liebe es. Allein der Anblick einer glitzernden Wasseroberfläche bringt mir pure Entspannung. Noch Jahre später, wenn ich wieder einmal ins kühle Nass sprang, musste ich oft an diese Zeit denken, an die warmherzigen Worte und stützenden Hände meiner Therapeutin, die mich immer wieder aufs Neue an die Wasseroberfläche brachte.

Die Betreuer waren geduldig und ermutigend, und langsam begann ich Fortschritte zu machen. Ich lernte, meine Muskeln zu bewegen und wieder sicherer zu laufen, unterstützt von einer Schiene am rechten Bein und Gehhilfen.

Magische Momente

Die Abende in Bad Wildbad waren besonders. Wenn die Sonne unterging und der Himmel in einem warmen Orange leuchtete, durften die Kinder noch draußen spielen. Es gab einen kleinen Spielplatz mit einer Schaukel und einem Sandkasten. Ich liebte es, mit meinen neuen Freunden und meinem Bruder dort zu spielen.

Lediglich der Pudding zum Nachtisch ließ mich an einem Abend das Ende des Kuraufenthalts herbeisehnen. Die Jungs haben uns den „Sandpudding“ als Besonderheit angepriesen, er sei „magisch“.  Erst als es zwischen unseren Zähnen knirschte, wussten wir Kleinen, dass die älteren Jungs das mit dem Sandpudding wörtlich meinten.

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Ein unerwarteter Besuch

Eines Tages, als ich in meinem Bettchen lag, wir kleinen Kinder mussten immer einen Mittagschlaf machen, hörte ich vertraute Stimmen. Meine Eltern waren gekommen, um mich und meinen Bruder zu besuchen. Die Freude war unbeschreiblich. Sie brachten Geschichten von zuhause mit, kleine Geschenke und vor allem eine Menge Liebe und Trost. Unsere Wiedersehenstränen vermischten sich mit überglücklichem Lachen.

Abschied

Die Wochen vergingen, und schließlich war es Zeit für meinen Bruder und mich, nach Hause zu gehen. Die Therapie hatte ihre Wirkung gezeigt und ich war stärker und selbstbewusster geworden. Der Abschied von meinen neuen Freunden und den vertrauten Gesichtern der Klinik war schwer, aber die Vorfreude auf zuhause überwog.

Heimkehr

Zurück in meiner Heimatstadt, wurde ich von der Nachbarschaft und meiner Familie wie eine kleine Heldin empfangen. Mein Kampf gegen die Kinderlähmung und die Zeit in Bad Wildbad hatten mich verändert. Ich war immer noch das kleine, fröhliche Mädchen, doch nun trug ich auch einen Funken von Stärke und Entschlossenheit in mir.

Ein Leben voller Hoffnung

Die Erinnerungen an Bad Wildbad begleiteten mich wohl ein Leben lang. Die Kur und Rehabilitation waren mehr als nur medizinische Maßnahmen gewesen; sie hatten mir den Glauben an mich selbst und die Kraft, Herausforderungen zu überwinden, geschenkt. Und so wuchs ich heran, voller Hoffnung und Lebensfreude, immer bereit, den nächsten Schritt zu machen, egal wie schwer er auch sein mochte.

Über Ankh

Avatar-FotoHallo! Mein Name ist Ankh und ich bin nicht nur seit 17 Jahren ehrenamtlich für eine Selbsthilfegruppe tätig, sondern auch leidenschaftliche Autorin (im Moment vorrangig von gesundheitsbezogenen Themen), aber auch Malerin und Fotografin. In diesem Blog möchte ich nicht nur meine Erlebnisse teilen, sondern auch Sichtweisen, Beobachtungen und Erfahrungen weitergeben, die wir alle in unserem Leben machen dürfen. Geschichten über Menschen, Kulturen oder Traditionen zu erzählen, soll im besten Fall andere dazu inspirieren, ebenfalls offen für neue Erfahrungen zu sein.